Welch
ein bedauerlicher Beitrag! Ist dessen Autorin nie in den Sinn
gekommen, was ein Wandel der normativen Setzungen unserer
Zivilisation bedingt: Das, was einst noch galt, muss heute nicht
zwangsläufig noch zutreffen! Dass vor zweihundert Jahren, als es
weder Computer noch mikroinvasive Chirurgie, weder Weltraumflüge
noch Telekommunikation gab, die Zwangsbeschulung als Fortschritt
dargestellt wurde, bedingt noch lange nicht, dass wir uns heute,
inzwischen im 21. Jahrhundert, danach richten müssten... Vor allem:
Hat Ihre Autorin jemals darüber nachgedacht, was inzwischen auch in
anderen Bereichen gilt: das angeblich Krankhafte ist vielleicht das
eigentlich Gesunde und zugleich das Zeichen eines krankhaften
Systems?
Oder
sollte ich die Absicht Ihrer Autorin missverstanden haben?
Wollte sie in Wirklichkeit eine subtile weitere Aufforderung zur Gewalt aussprechen und den Druck auf inzwischen immer mehr sich wehrende junge Menschen erhöhen? Genügt ihr vielleicht die Zahl der an der Schule so offensichtlich Gescheiterten nicht? Wessen Interessen vertritt sie, wenn sie ignoriert, dass Deutschland alsbald von dem Problem stehen wird, keine kreativen, genialen, innovativen Menschen mehr zu haben, weil die „Staatsgewalt“ für Uniformität und garantierte Verdummung als schulisches Erfolgsmodell gesorgt hat?
Wollte sie in Wirklichkeit eine subtile weitere Aufforderung zur Gewalt aussprechen und den Druck auf inzwischen immer mehr sich wehrende junge Menschen erhöhen? Genügt ihr vielleicht die Zahl der an der Schule so offensichtlich Gescheiterten nicht? Wessen Interessen vertritt sie, wenn sie ignoriert, dass Deutschland alsbald von dem Problem stehen wird, keine kreativen, genialen, innovativen Menschen mehr zu haben, weil die „Staatsgewalt“ für Uniformität und garantierte Verdummung als schulisches Erfolgsmodell gesorgt hat?
Diese
Fragen an Ihre Autorin: Was täte sie, wenn sie selbst als Mutter
eines betroffenenjungen Menschen mit dessen klaren „Nein!“
konfrontiert wäre? Würde sie sich vielleicht dann doch dafür
interessieren, woran es liegt, dass – allen angeblich für ihn, in
Wirklichkeit gegen ihn getroffenen Maßnahmen zum Trotz – er sich
weiterhin weigerte, sich dem deutschen Schulanwesenheitszwang zu
unterwerfen? Würde sie dann die geliebte Tochter zum Psychiater
schleppen und sie anschließend mit Psychopharmaka voll pumpen? Oder
den geliebten Sohn von der Polizei abholen lassen – wofür? Aus der
Unfähigkeit heraus sich etwas anderes vorzustellen? Muss deshalb –
nach der Devise „mehr desselben!“– die Dosis an zwar nicht
fruchtender, aber an subtiler und offener Gewalt erhöht werden –
obschon klar ist, dass ein Intensivieren von Druck nur das
(Grund-)Problem verschlimmert? Und dies alles nur deshalb, weil es
sich der Fantasiefähigkeit Ihrer Autorin entzieht, dass vielleicht
nicht die Menschen, sondern die Institutionen infrage gestellt werden
könnten und müssten? Nur deshalb, weil sie nicht glauben kann oder
will, was offensichtlich ist: dass es durchaus Menschen gibt, die
sich in dieser industriellen Lernmaschinerie nicht wohl fühlen –
und sei es deshalb, weil sie statt konform genial oder originell
sind? Lohnt es sich da nicht, mal die normativen Setzungen infrage zu
stellen? Hätte Ihre Autorin bedacht, was der
Wissenschaftstheoretiker Karl Popper postulierte, nämlich dass eine
These nicht nur zu verifizieren, sondern sie auch zu falsifizieren
sei, hätte dies bedeutet, eben die Vorzeichen, Setzungen und Normen
des zivilisatorischen, insbesondere des schulischen Zusammenhangs
kritisch zu betrachten...
Kann
ferner Ihre Autorin ignorieren, dass im Mittelpunkt einer
freiheitlich demokratischen Lebensform der Mensch, das Subjekt steht,
weshalb dem Staat allenfalls eine dienende („subsidiäre“)
Funktion zukommt? Eine auf Gewalt und Zwang (selbst
„Zwangsbeglückung“) beruhende Institution Schule, selbst wenn
sie vom Staat getragen wird ist absolut kontraproduktiv; es bleibt
festzuhalten, der Schulanwesenheitszwang verstößt gegen die Würde
des Menschen und ist und bleibt damit verfassungswidrig.
Für
mich, der ich mich seit fast fünf Jahrzehnten intensiv dem Recht des
Menschen widme, selbstverständlich frei sich zu bilden, kommt beim
Lesen dieses Beitrags wechselweise Zorn auf und Mitleid mit den
vielen jungen Menschen, die durch eben diese widersinnigen – und
widerlichen – Ausführungen weiter und weiter gepiesackt werden:
arme stigmatisierte, kriminalisierte oder medikalisierte Menschen,
denen im Namen von längst obsoleten Gedanken ein erfülltes,
sinnvolles Leben verwehrt wird, das uns allen wahrlich nur gut
bekäme! Es tröstet mich ungemein, dass die Zahl derer steigt, die
sich davon, was Ihr Beitrag an Gewalt transportiert, nicht mehr
einschüchtern oder beschämen lassen und die gegen ihre
Zwangs-Beschulung aktiven Widerstand leisten – und damit gottlob
sogar durchkommen!
Der
Institution Schule wird es ähnlich ergehen wie so manchen Regimes,
die an ihrer Dummheit zusammengebrochen sind und weggefegt wurden.
Ich jedenfalls werde nicht aufhören, Menschen darin zu ermuntern, zu
unterstützen, zu begleiten, sich als Subjekte ihres Lebens jenseits
der Beschulungsideologie zu positionieren und sich als Träger und
Präger des Prozesses zu sehen, zu fühlen, zu verhalten,
selbstverständlich frei sich zu bilden.
Übrigens:
Sollte Ihre Zeitung mal darüber berichten wollen, was jenseits der
Schule ist und sich dem Innovativen, Naheliegenden, Lebendigen und
Menschlichen des Prozesses, selbstverständlich frei sich zu bilden,
widmen wollen: Gerne stehe ich Ihnen hierfür zur
Verfügung!
_________________
Bertrand Stern
freischaffender Philosoph und Schulkritiker
Siegburg
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Bertrand Stern
freischaffender Philosoph und Schulkritiker
Siegburg
www.bertrandstern.de
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